Mit diesem Artikel möchte ich ein Thema ansprechen, das wir, die Gesellschaft, aus meiner Sicht öffentlich(er) führen sollten. Und zwar, dass wir die Falschen in eine Gründung schicken oder anders formuliert die Falschen gründen. Diese Annahme beruht auf der Tatsache, dass
- sehr viele Gründer/innen einen zu geringen Umsatz machen, um (über)leben zu können[1].
- die Motivationen für eine Gründung stark zu bedenken geben[2].
Betrachten wir hierfür zunächst die Anzahl an Neugründungen in den vergangenen Jahren (s. Abbildung 1). Lauf KfW-Gründermonitor sinkt die Anzahl an Neugründungen seit 2003 ständig. Die hohe Zahl an Neugründungen im Jahr 2003 ist, aus meiner Sicht, auf die zu diesem Zeitpunkt herrschende Wirtschaftskrise zurückzuführen. Diese Krise hatte ihren Ursprung in dem Platzen der Dot-Com-Blase im Jahr 1999/2000. Mit dem Aufschwung der weltweiten und in diesem Fall der deutschen Wirtschaft ging die Zahl der Neugründungen, wie bereits erwähnt, stetig bis zum Jahr 2008 zurück. Zu diesem Zeitpunkt erreichte die deutsche Wirtschaft die Subprimekrise. Mit der Folge, dass wieder mehr Neugründungen erfolgten. Seit 2010 fällt diese Zahl wieder ab.

Abbildung 1 Anzahl Neugründungen 2002 bis 2017[3]
Bereits an diesem Auf und Ab ist zu erkennen, dass vor allem in Krisenzeiten die Zahl der Neugründungen zunnimmt. Diese Anstiege bedeuten, dass eine Vielzahl an Gründer/innen aus der Not heraus sich zum Gründen eines Unternehmens entschließen. Das dies nicht die ideale Voraussetzung für eine Gründung ist, zeigt Abbildung 2. In dieser habe ich die Verteilung der Umsätze bezogen auf die Anzahl an KMU[4] grafisch dargestellt. Folgt man dieser Aufteilung, so sieht man, dass 89 % der gegründeten Unternehmen weniger als 2 Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen.

Abbildung 2 Verteilung der Umsätze nach Anzahl an Unternehmen[5]
Dieser Punkt wird durch die in der Abbildung 3 dargestellten Umsätze bestätigt.

Abbildung 3 Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr (2014-2016)[6]
Die mit diesen geringen Umsätzen verbundenen Konsequenzen ergeben sich aus dem damit geringem Verdienst der Gründer/innen (s. Abbildung 4). In dieser Abbildung habe ich ausgehend von verschiedenen Umsätzen das jeweilige Nettogehalt berechnet. Dabei habe ich zwei unterschiedliche Gewinnmargen (Umsatzrendite) in Höhe von 10 % oder 20 % sowie eine Auszahlungsquote von 40 % angesetzt. Das Ergebnis ist eindeutig.

Abbildung 4 Zusammenhang zwischen Umsatz, Gewinn, Steuer und Gehalt[7]
Laut meinen Berechnungen, verdienen rund 83 %[8] der Gründer/innen weniger als 1.450 Euro netto pro Monat und folglich weniger als der durchschnittliche Arbeitnehmer (Netto: 1.890 Euro). Setzt man anstelle der angesetzten Auszahlungsquote in Höhe von 40 % beispielsweise 80 % an, was vermutlich in diesen Umsatzbereichen für viele Gründer/innen aufgrund der geringen Einnahmen naheliegt, dann verringert sich die Grenze für 1.450 Euro netto pro Monat von einem Umsatz von 500.000€ auf 250.000€. Oder umgekehrt, bei einem Umsatz in Höhe von 500.000 Euro erhält man bei dieser Auszahlungsquote (80 %) ein Nettogehalt in Höhe von 2.571 Euro pro Monat. Es sei an dieser Stelle jedoch angemerkt, dass in diesem Fall das Wachstum des Unternehmens zurückgestellt wird, da der Großteil des Gewinns anstatt in das Unternehmen, in die eigene Tasche gesteckt wird.
Beziehen wir diese 83 % auf die Anzahl an Neugründungen im Jahr 2016 (s. Abbildung 1), so entspricht dies 557.760 Gründer/innen. Das heißt, 557.760 Gründer/innen verdienen zwischen 1.450 Euro und 2.571 Euro netto pro Monat bei einer respektiven Auszahlungsquote von 40 % bis 80 %.
Die in Abbildung 5 wiedergegebenen Aussagen, bestätigen meine eigne Berechnung (s. Abbildung 4) hinsichtlich der nicht Wirtschaftlichkeit vieler Unternehmer/innen. Zusammen mit der Aussage „Ich finde keinen Nachfolger/keine Nachfolgerin, spiegeln diese in gewisser Weise die Situation zu Beginn der Neugründung wieder (s. Tabelle 1 und Tabelle 2).

Abbildung 5 IHK-Studie zum Thema Fachkräftemangel[9]
In den beiden folgenden Tabellen 1 und 2 habe ich die Daten von Statista[10] auf die Daten aus Abbildung 1 angewendet. Von 557.000 Gründer/innen gründen demnach 239.510, weil sie ihr eigener Chef sein wollen oder 71.296 aus der Not heraus. Fast man diese Daten etwas zusammen, so erhält man Tabelle 2.
Gründe | Anteil [%] | Anzahl[10] |
Der eigene Chef sein (selbstbestimmtes arbeiten) | 43,0 | 239.510 |
Gute Geschäftsidee | 22,5 | 125.325 |
Notgründungen (Ausweg aus der Arbeitslosigkeit) | 12,8 | 71.296 |
Ermüdende Jobsuche | 10,0 | 55.700 |
Marktlücke füllen | 8,5 | 47.345 |
Druck vom Chef (Arbeitgeber hat Gründung forciert) | 2,0 | 11.140 |
Steuergründe | 1,5 | 8.355 |
Tabelle 1 Warum die Deutschen gründen[11]
Gründe | Anteil [%] | Anzahl[12] |
Eigener Chef | 43,0 % | 239.510 |
Geschäftsidee/Marktlücke | 31,0 % | 172.670 |
Aus der Not heraus/Ermüdende Jobsuche, Druck | 24,8 % | 138.136 |
Steuergründe | 1,5 % | 8.355 |
Tabelle 2 Warum die Deutschen gründen (Zusammenfassung)
Demnach gründen insgesamt 67,8 % bzw. 377.646 der Gründer/innen entweder, weil sie ihr eigener Chef sein wollen oder aus der Not heraus. Beide Gründe sind, aus meiner Sicht, nicht unbedingt eine gute Voraussetzung, um erfolgreich am Markt bestehen zu können.
Um diese Zahlen in einen besseren Kontext zu setzen, habe ich mir die Statistik für Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung angeschaut (s. Abbildung 6). Laut dieser Statistik waren 3,16 Millionen Menschen im Jahr 2018 unterbeschäftigt, davon 2,2 Millionen arbeitslos. Beziehen wir die in Tabelle 2 ermittelte Anzahl von 24,8 % anGründer/innen, welche aus der Not heraus gründen, auf diese 2,2 Millionen, so ergibt dies eine Gründungsquote von rund 6,2 %.

Abbildung 6 Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in Deutschland 2017/18[13]
In einem KfW-Bericht heißt es in der Schlussfolgerung „Arbeitslosigkeit ist ein bedeutender Push-Faktor für den Wechsel in die Selbstständigkeit. Die von Arbeitslosen gegründeten Unternehmen unterscheiden sich jedoch deutlich von anderen Gründungen. Sie haben im Durchschnitt weniger Beschäftigte und sind zumeist Ein-Mann-Firmen[14].“ Gerade der letzte Satz spricht für sich. Bei dem Großteil der Gründungen handelt es sich, aus meiner Sicht, nicht um Gründungen, sondern um Jobs.
Betrachten wir nun die Situation aus der Sicht der vor einer Übergabe stehenden Unternehmen (s. Abbildung 7).

Abbildung 7 IfM Bonn: Zur Übergabe anstehende Unternehmen in DE 2018-2022 nach Umsatzgrößenklassen (in €)
Nehmen wir die Zahlen aus Abbildung 4, Abbildung 5 und Tabelle 1 zur Hand, so müssen wir für die Daten in Abbildung 7 konstatieren, dass leider der Großteil (rund 60 %[15]) der zur Übergabe anstehenden Unternehmen nicht zur Übergabe empfohlen werden können. Diese stellen aufgrund der bisherigen Analyse keine finanzielle Sicherheit für den Nachfolger/die Nachfolgerin dar (s. Abbildung 4).
Diese 91.300 Unternehmer/innen werden in den kommenden Jahren (2018-2022) auf Sozialhilfen (s. Abbildung 8) angewiesen sein.

Abbildung 8 Empfänger von Grundsicherung im Alter[16]
Diese Tatsache, dass rund 60 % der Unternehmen nicht übergeben werden sollten und vermutlich zum Großteil auch nicht werden, führt dazu, dass die Anzahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter stetig steigt (s. Abbildung 8). Diese lag bereits im Jahr 2017 bereits bei 544.090 Empfängern.
Dieser Anstieg bedeutet eine Mehrbelastung der Gesellschaft (s. Abbildung 9). Wie unschwer zu erkennen ist, verlaufen beide Grafiken (Abbildung 8 und Abbildung 9) parallel. Die geringeren Ausgaben für das Jahr 2017 sind auf eine Anpassung der Statistik zurückzuführen. Die Gründe für das Weglassen der Ausgaben für die Grundsicherung und Erwerbsminderung wurden vom Herausgeber in den Fußnoten zu dieser Statistik jedoch nicht aufgeführt.

Abbildung 9 Brutto- und Nettoausgaben für Sozialhilfe 2003 bis 2017[17]
Gehen wir nun einen Schritt weiter und betrachten das Ganze aus einer etwas anderen Richtung. Wie in anderen Artikeln bereits erwähnt, finde ich den Gedanken von Michael E. Gerber[18], dass jeder Mensch drei Grundcharaktere nämlich Entrepreneur, Manager und Techniker ins sich trägt, interessant. Folgen wir diesem Gedanken und kombinieren ihn mit dem Modell von Everett Rogers (s. Abbildung 10), so können wir in etwas abschätzen, wie hoch der Anteil von Entrepreneuren, Managern und Technikern von Gründern und Gründerinnen ist.

Abbildung 10 Diffusion of Innovation[19]
Hierzu müssen wir zunächst die Anteile in der Abbildung 10 neu berechnen, da ich auf Grundlage der Definition der Gruppe Laggards[20] nicht davon ausgehe das diese ein Unternehmen gründen. Die Umrechnung ergibt folgende Zahlen.

Tabelle 3 Neuberechnung der Verteilung aus Abbildung 12
Mit diesen neuen Werten erhalten wir unter Verwendung der Zahlen aus Abbildung 1 folgende Verteilung (s. Tabelle 4).

Tabelle 4 Verteilung der Gründer auf Basis von Tabelle 1
Diese müssen und können wir noch weiter zusammenfassen, um sie dann mit den Zahlen aus Tabelle 1 vergleichen zu können (s. Tabelle 5).

Tabelle 5 Verteilung der Gründer auf Basis von Tabelle 1
Wie sind nun die Zahlen aus Tabelle 5 zu interpretieren? Wir sehen zunächst, dass der Wert für die Entrepreneure im Falle von Everett Rogers zu gering und der Wert für die Manager/Techniker nach Michael E. Gerber zu hoch sind. Die durchschnittliche Abweichung beträgt rund 12 %. Was ich aufgrund der unterschiedlichen Datenbasen und insbesondere der Unschärfe der Annahmen als akzeptabel einordnen würde.
Nehmen wir nun den Anteil an Gründern und Gründerinnen, welche auf Basis von Abbildung 4 weniger als 1.450 Euro netto pro Monat verdienen und beziehen diesen ebenfalls auf das Jahr 2017, so erhalten wir 462.310 Gründer/Gründerinnen. Dieser Wert liegt oberhalb des von uns abgeschätzten Anteils an Managern/Technikern.
Diese bedeutet jedoch nicht, dass nur Entrepreneure erfolgreich sind oder umgehrt es sich hierbei nur um Manger/Techniker handel. Ganz im Gegenteil. Um auf Michael E. Gerbers Ansatz zurückzukommen, benötigt es alle drei Charaktere[23], um ein erfolgreiches Unternehmen gründen und führen zu können.
Die Abschätzungen sollen jedoch uns vor Augen halten, dass der Großteil der Gründer und Gründerinnen
- aus der falschen Motivation heraus gründen (siehe Eingangsthese)
- mit unzureichendem Wissen gründen
und als Folge davon, in finanzielle Schwierigkeiten geraten (siehe Eingangsthese).
Wir als Gesellschaft sehen das Gründen nach wie vor, aus meiner Sicht, nicht als einen alternativen Karrierepfad an. Wobei ich anstelle des Begriffes Karrierepfad den Begriff Berufsweg bevorzuge. Warum Berufsweg und nicht Karrierepfad? Nun, aus meiner Sicht deutet eine Karriere daraufhin, dass ich nach oben strebe. Das Wort Karriereleiter ist hierfür eine gute Analogie. Ein Unternehmen zu gründen ist jedoch, meiner Meinung nach, nicht dafür geeignet nach oben zu streben[24], sondern eher seine Berufung zu finden. Das sich hierbei das Unternehmen positiv entwickelt (kann) ist nicht das Ziel, sondern Nebenprodukt. Dieses Nebenprodukt ist Folge einer Gründung durch die richtigen Gründer/innen. Mit dem Wort richtig beziehe ich mich auf die Definition von Professor Fredmund Malik, welche er im Zusammenhang mit richtigem Management verwendet hat. Er schreibt hierzu „Richtiges und Gutes Management verstehen wir als jene gesellschaftliche Funktion, die die Organisationen und Systeme einer Gesellschaft dazu befähigt, richtig zu funktionieren.[25]“ Es gibt folglich für mich ein richtiges und gutes Unternehmertum.
Die Frage, welches sich mir abschließend aufdrängt ist, ob wir uns es als Gesellschaft erlauben können, dass Menschen in eine Selbstständigkeit gehen, welche nicht die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Denn, wie wir gesehen haben, zahlen wir, die Gesellschaft am Ende die Rechnung. Mir wäre es lieber, wenn die Anzahl an Neugründungen weiter zurückgehen würde, dafür die Qualität[26] an Gründungen hoch. Wir benötigen daher, aus meiner Sicht, eine noch bessere Vorbereitung der zukünftigen Gründer/innen. Dies hätte zudem die Folge, dass die aktuell sehr hohe Insolvenzquote (in meinem Artikel als Sterblichkeitsquote bezeichnet) zurückgehen würde.
Stimmen Sie mit mir in diesem Punkt überein? Lassen Sie es mich wissen, indem Sie es mir unten in den Kommentar schreiben.
[1] Siehe Abbildung 3
[2] Siehe Abbildung 5
[4] KMU = Kleinste/Kleine- und mittlere Unternehmen (Definition nach IfM Bonn)
[6] Deutscher Startup Monitor 2016
[7] Eigene Berechnung auf Basis von dumark
[8] Basis ist Abbildung 3
[10] Zahlen beziehen sich auf Abbildung 1 (2017)
[11] Statista | Warum wird gegründet
[12] Zahlen beziehen sich auf Abbildung 1 (2017)
[13] https://statistik.arbeitsagentur.de/
[15] Anteil der Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 1 Mio. Euro in Verhältnis zu allen Unternehmen
[16] Eigene Darstellung auf Grundlage von Destatis
[17] Eigene Darstellung auf Basis der Daten von Destatis
[18] Autor mehrerer Bücher über das Thema Entrepreneurship. Das Buch, auf welches ich mich beziehe heißt E-Myth Revisited.
[19] Nach Everett Rogers https://en.wikipedia.org/wiki/Everett_Rogers
[20] Als Laggard zu deutsch Nachzügerl, werden Menschen bezeichnet, die als letzte Gruppe ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung annehmen.
[21] Basis Tabelle 4
[22] Basis Tabelle 2
[23] Aus meiner Sicht mindestens zwei von dreien.
[24] Selbst wenn man das Ziel hat, ein neues Facebook, Google oder Amazon zu gründen.
[25] Malik | Definition von richtig
[26] In diesem Kontext bezogen bedeutet Qualität Umsatz. Wobei der Umsatz die Folge von richtigem und gutem Unternehmertum ist.
5 Gedanken zu “Das Problem der Gesellschaft oder warum die Falschen Unternehmer/innen werden”
Die Kommentarfunktion ist geschlossen.