Der Fluch des Unternehmertums

Als ich mich mit dem Thema Unternehmertum zu beschäftigen begann, tauchte sehr schnell der Begriff Fluch auf. Es liegt ein Fluch auf der 2. Generation und auf der 3. Generation, und wenn ich mir die Überlebenschancen in der Start-up-Szene so anschaue, augenscheinlich auch dort. Aber ist dies wirklich der Fall? Dieser Frage möchte ich in dem heutigen Artikel versuchen nachzugehen.

In der nachfolgenden Abbildung 1 habe ich, die oft zitieren Prozentzahlen hinsichtlich der Überlebenschancen von Unternehmen grafisch aufgearbeitet und über einen Zeitraum von 100 Jahren dargestellt.

Überlebensrate von unternehmen

Abbildung 1 Lebenserwartung von Unternehmen über einen Zeitraum von 100 Jahren

Wer sich diese Abbildung anschaut, kommt in der Tat zu dem Schluss, dass ein Fluch auf dem Unternehmertum liegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Unternehmen nach 100 Jahren noch am Markt ist, schwindet von Jahr zu Jahr. Um etwas Konkreter zu werden, von rund 200 Unternehmen, welche vor etwas 100 Jahren gegründet wurden überlebt nur ein einziges Unternehmen diesen Zeitraum. Aber ist es wirklich ein Fluch? Nach allem, was ich herausgefunden habe, heißt die Antwort definitiv – Nein! Räumen wir also mit diesem Mythos weiter auf.

1.    Generation

Statistisch gesehen beträgt die Wahrscheinlichkeit 1:10, dass ein Unternehmen nach 10 Jahren noch am Markt ist. Dies wird unter anderem auf folgende Ursachen zurückgeführt:

  • Fehlendes Geschäftsmodel
  • Zeitpunkt des Markteintritts
  • Kein Team oder unpassende Teamzusammensetzung
  • Me-Too Produkt
  • Fehlende Flexibilität
  • Fehlende Kenntnisse z.B. bzgl. Unternehmertum
  • Konkurrenzdruck (Preiskampf)
  • Technologiewandel
  • Gesellschaftlicher Wandel

Anhand dieser Liste wird klar, dass es nicht die eine Ursache gibt. Es gibt aber laut Bill Gross[1] eine Ursache, welche in den meisten Fällen dafür verantwortlich sein soll. Bill Gross berichtet in seinem im Jahr 2015 gehaltenen TED Vortrag[2] (Link zum Video), dass der Hauptgrund für das Scheitern von Unternehmen der Zeitpunkt des Markteintritts[3] ist (siehe Abbildung 2).

gründe für das scheitern

Abbildung 2 Gründe für das Scheitern von Unternehmen[4]

Ich möchte jedoch an dieser Stelle anmerken, dass hier Unternehmen untersucht wurden, welche von Wagniskapitalgebern finanziert wurden. Warum ist diese Anmerkung wichtig? Nun, die Motivation von Wagniskapitalgebern ist einen möglichst hohen Return on Investment (ROI) in möglichst kurzer Zeit zu erhalten. Ziel ist ein Einhorn[5] aufzubauen. Was die Wagniskapitalgeber folglich als gescheitert betrachten, könnte für den einen oder anderen Gründer immer noch ein profitables Geschäftsmodell sein.

Aufgrund meiner eigenen Recherchen sehe ich den Hauptgrund für das Scheitern von Unternehmen in den fehlenden Kenntnissen bezüglich Unternehmertums. Hier runter verstehe ich, dass die Mehrzahl der gegründeten Unternehmen von Menschen gegründet werden, welche von ihrem Naturell eher Handwerker sind[6]. Mit Handwerker meine ich, dass sie haptisch veranlagt sind. Diese Menschen wollen etwas mit ihren Händen erschaffen und am Ende des Tages das erschaffene auch Sehen und anfassen können. Sie sind technisch orientiert. Gründen sie jedoch ein Unternehmen, ohne sich der anderen Charaktere bewusst zu sein, welche für die erfolgreiche Gründung erforderlich sind, so werden sie plötzlich mit Aufgaben konfrontiert, welche außerhalb ihres Interessengebietes liegen. Die Motivation Dinge zu planen und zu organisieren machen sie oft nur lieblos. Die Folge davon, ist leider oft ein Scheitern auf Raten.

Damit unterscheiden sie sich von der Gruppe der Menschen, welche von ihrem Naturell eher Planer oder Manager sind. Sie setzen sich mit einem Thema primär gedanklich auseinander. Sie überlegen, wie die das Ganze in Einzelteile zerlegt, strukturiert und wieder zusammengebaut werden muss, damit möglichst effektiv und effizient gearbeitet werden kann.

Sie unterscheiden sich folglich auch von der Gruppe derjenigen Menschen, welche von ihrem Naturell eher Träumer sind. Das Wort Träumer ist hier nicht negativ gemeint, ganz im Gegenteil. Der Träumer oder auch Visionär genannt, betrachtet eine Situation und extrapoliert sie in die Zukunft. Er versteht die Zusammenhänge und abstrahiert davon ausgehend die Schritte, welche unternommen werden müssen, um die Situation zu verändern.

Jeder von uns hat alle drei Charaktere in sich, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Es benötigt alle drei Charaktere, um letzten Endes erfolgreich zu werden. Erst als ich mich mit diesem Konzept[7] auseinandergesetzt hatte, wurde mir klar, welche Konsequenzen dies mit sich bringt.

2.    Generation

Während sich die erste Generation auf dem Aufbau und der Etablierung des Unternehmens beschäftig und durch Rückschläge gewissermaßen an das Unternehmen seelisch gebunden sind, ist die Bindung der zweiten Generation unter Umständen nicht mehr ganz so groß. Dies hat nach meinem Verständnis zweierlei Gründe. Zum ersten sieht die zweite Generation den Kampf der Eltern und welche Folge eine Unternehmensgründung mit sich bringen. Sie beginnt sich folglich etwas von dem Unternehmen zu distanzieren. Dies wird zweitens dadurch unterstützt, indem die erste Generation der nächsten Generation den täglichen Kampf ersparen möchte. Es wird alles in der Macht Stehende getan, damit es die nächste Generation besser hat. Dieser Schutz führt jedoch dazu, dass eine weniger selbstständige Generation heranwächst[8]. Der Erfolg der Übergabe hängt demzufolge stark damit zusammen, wie beide Generationen miteinander umgehen. Das heißt, insbesondere, wie Erfolge und Misserfolge innerhalb des Unternehmens innerhalb der Familie kommuniziert und bewältigt werden.

Daneben ist auch diese Generation vor der Fehleinschätzung hinsichtlich der Eignung nicht geschützt[9]. Hierunter verstehe ich die bereits im Abschnitt zur ersten Generation beschriebenen Charaktereigenschaften der jeweiligen Menschen. Um diesen Aspekt besser verständlich zu machen, möchte ich an dieser Stelle, die von Everett Rogers in seinem 1962 erschienen Buch Diffusion of Innovations (Affiliate-Link), gleichnamige Theorie verweisen. Nach dieser Theorie gibt es eine Normalverteilung innerhalb der Bevölkerung hinsichtlich der Risikoneigung (siehe Abbildung 3). Diese Verteilung deckt sich meiner Meinung nach sehr gut mit dem Konzept der drei Charaktere von Michael E. Gerber[10]. Es gibt demnach viel weniger Visionäre (Träumer), als Manager (Planer) oder gar Techniker (Handwerker), da die Risikoneigung des Visionärs im Vergleich zu den beiden anderen Charakteren bedeutend größer ist.

diffusion of innovation

Abbildung 3 Diffusion of Innovation[11]

Abschließend können auch die bereits genannten Ursachen wie bspw. Me-Too Produkt, Technologiewandel oder gesellschaftlicher Wandel genannt werden. Der viel zitierte technologische Wandel vernichtet, nach meinem Verständnis, lediglich diejenigen Unternehmen, welche a) ihr Unternehmen nur auf einen solchen aufgebaut haben und damit b) das grundlegende Bedürfnis nicht verstanden haben. Als Beispiel möchte ich hier die Automobilindustrie heranziehen. Diese hat sich in den über 100 Jahren primär darauf konzentriert neue Automodelle auf den Markt zu bringen. Diese einseitige Fokussierung missachtete allerdings, dass das Bedürfnis der Menschen primär nicht ein Auto ist, sondern möglichst bequem und schnell von A nach B zu kommen. Als Folge dieser Ausrichtung ermöglichte es anderen Unternehmen mit anderen Produkten wie bspw. Motorrad oder Flugzeugen auf den Markt zu dringen. Hätte die Automobilindustrie ihren Fokus auf das zugrunde liegende Bedürfnis gelegt, so hätte sie frühzeitig in die Entwicklung von z. B. Flugzeugen investiert oder ganze Fluggesellschaften übernommen[12]. Die Automobilindustrie ist eben nicht in der Automobilindustrie, sondern in der Mobilitätsindustrie. Die Definition des Grundbedürfnisses bestimmt demnach sehr stark die Lebensfähigkeit des eignen Unternehmens. Warum etablierte Unternehmen diesen blinden Fleck haben, möchte ich in einem anderen Artikel nachgehen.

3.    Generation

Je nachdem, wie die Übergabe an die zweite Generation erfolgte, ist die emotionale Bindung dieser Generation deutlich geringer. Dies wird unter anderem damit begründet, dass die vorige Generation ihre Kinder, sofern es die Einkünfte erlaubt, auf Privatschulen schickt. Ja, die neue Generation wird dazu angehalten anderen Berufen nachzugehen. Hinzukommt, dass die dritte Generation die Beständigkeit des Unternehmens als gegeben annimmt. Die Kämpfe der ersten Generation kennt diese Generation nur noch von Erzählungen.

Werden bei der Übergabe Fehler hinsichtlich Werte, Umgang, etc. gemacht, so ist ein Scheitern des Unternehmens (fast) vorprogrammiert. Denn diese Werte erhöhen die Bindung zum Unternehmen und das Verständnis innerhalb des Unternehmens. Anzeichen für eine mangelnde Übergabe könnte eine größere Risikobereitschaft (siehe Abbildung 4) der zukünftigen Generation sein, welche ggf. mit einer Fehleinschätzung des eigenen Könnens einhergeht.

risikoverhalten des familienunternehmens heute und in der zukunft

Abbildung 4 Risikoverhalten des Familienunternehmens heute und in der Zukunft[13]

Neben dem technologischen Wandel spielt auch der Wandel innerhalb der Gesellschaft eine Rolle hinsichtlich des Geschäftsmodells. Was gestern (noch) in Ordnung schien, ist heute (so gut wie) verpönt. Werden diese Veränderungen nicht beachtet oder ignoriert, so ist ein Scheitern zwangsmäßig vorprogrammiert. Der Unternehmer gleich welcher Generation angehörig, muss ein Gespür für diese Veränderungen entwickeln. Dies kann er jedoch nur, wenn er, um es mit den Worten von Milton Rokeach[14] zu sagen „open-minded“ (aufgeschlossen) ist. Dieser Charakterzug geht Hand in Hand mit den Charakterzügen eines Visionärs einher. Oder anders formuliert. Der Visionär ist von Hause aus Neuem gegenüber aufgeschlossen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass obwohl jede Generation ihre eigenen Herausforderungen hat, es doch jede Menge gleiche Herausforderungen gibt, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung, mit denen sich jede Generation aus Neue auseinandersetzen muss.

Sofern die jeweilige Generation das langfristige Ziel, das Unternehmen erfolgreich an die nächste Generation übergeben zu können, nicht aus den Augen verliert, wird die Überlebensfähigkeit des Unternehmens erhöht.

Ein stückweit sehe ich jedoch auch das Problem darin, dass die Falschen ein Unternehmen gründen (Lin zu meinem Artikel).

Wie gehen Sie den Generationenwechsel an? Schreiben Sie es mir unten in das Kommentarfeld.

[1] Gründer von IdeaLab

[2] Über 2 Millionen Aufrufe

[3] Basierend auf einer Studie mit 200 Unternehmen

[4] Screenshot: Bill Gross (2015) TED-Vortrag

[5] Vorbörslicher Marktwert > 1 Milliarde Dollar

[6] Siehe Michael E. Gerber (2004) E-Myth Revisited

[7] Michael E. Gerber (2015) E-Myth Revisited

[8] Thomas J. Stanley (2010) The millionaire next doort

[9] Jede Generation steht vor diesem Problem

[10] Michael E. Gerber (2015) E-Myth Revisited

[11] Nach Everett Rogers Wikipedia | Everett_Rogers

[12] Diese Aussage gilt ebenso für die Eisenbahngesellschaften

[13] Deloitte

[14] Wikipedia | Milton Rokeach